Warum mit den Kindern Ackerbau? |
Zu unserem pädagogischen und sozial-ökologischen Landbauprojekt
Thomas Marti
Angestoßen durch den Wunsch und die Anregung aus der Elternschaft, haben wir vor einigen Jahren Ausschau nach Ackerland gehalten, um mit den beiden 4., 5. und 6. Klassen Landbau zu betreiben. Nachdem unser Bemühen, Land des ehemaligen Ferck’schen Hofes in Volksdorf pachten zu können, erfolglos blieb, erhielten wir vom Gut Wulfsdorf die Möglichkeit, ca. 1.000 m² Ackerland bewirtschaften zu können. Das Gut Wulfsdorf ist ein zertifizierter Demeter-Hof und mit unserer Schule seit langer Zeit freundschaftlich verbunden.
Zur Zeit stehen wir am Start der vierten Anbau-Saison. Nachstehend erzähle ich, welches unsere wichtigsten Anliegen sind, was wir mit den Klassen tun und was wir noch vorhaben. |
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Was die Kinder lernen und sich erarbeiten, soll für die Welt von Bedeutung sein
Seit Anbeginn der Waldorfschulen gibt es auch an unserer Schule in der 3. Klasse die so genannte Ackerbau-Epoche. In dieser Epoche lernen die Kinder den Weg vom Korn zum Brot praktisch kennen. „Praktisch“ heißt, dass die Kinder den Acker selber bestellen, dazu mit vereinter Kraft den Pflug und die Egge ziehen, die Steine aufsammeln und dann das Getreide aussäen (meist Roggen). Sobald das Getreide erntereif ist, wird es mit der Sichel geschnitten, werden die Ähren gedroschen und das Korn gemahlen. Am Ende erfolgt das Backen von Brot, wofür auf dem Schulareal ein Holzbackofen zur Verfügung steht. Natürlich darf dann auch ein abschließendes Erntedankfest nicht fehlen.
Was lernen die Kinder dabei? Durch eigene Tätigkeit und erlebendes Betrachten erfahren die Kinder, wie ein Naturprozess (Keimen, Wachsen, Reifen) durch Arbeit und Zuwendung zu einem kulturellen Vorgang wird. Neben dem Hausbau ist der Ackerbau seit der Neolithischen Revolution vor rund 12.000 Jahren die älteste Kulturtechnik, sie ist nachweislich älter als Schreiben und Lesen. Bis heute ist die Landwirtschaft der größte Wirtschaftszweig der Welt und verdanken wir ihr unsere Ernährungs- und Lebensgrundlagen. Dazu gehören natürlich auch die sozialen, ökologischen und klimatischen Bedingungen, unter denen wir leben und die wir Menschen mitbeeinflussen. Zum Erhalt dieser Lebensgrundlagen wird die Landwirtschaft auch in Zukunft von zentraler Bedeutung sein. Letztlich geht es aber nicht nur um unsere Ernährung, sondern um die Gesunderhaltung der Erde überhaupt. Was liegt also näher, als diese Thematik nicht nur theoretisch, sondern den Kindern auch durch Praxiserfahrung zu vermitteln?
Mit unserem Landbauprojekt möchten wir diesen Anliegen noch mehr Raum geben und zusätzliche Möglichkeiten schaffen, für die Erde und ihr Leben tätig zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Wir sind überzeugt, dass es von großer Wichtigkeit ist, den Kindern und Jugendlichen über land- und gartenbauliche Tätigkeiten eine zukunftsträchtige Beziehung zu unseren Lebensgrundlagen zu ermöglichen und damit ein reales Verständnis für ökologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Verhältnisse zu veranlagen. Unser oberstes Anliegen ist, den Kindern zu vermitteln, dass das, was sie lernen und sich erarbeiten, für die Welt eine Bedeutung hat. |
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Wertschöpfung durch Zuwendung und Arbeit
Seit vielen Jahren schon ist es möglich, die genannten Ackerbau-Epochen mit den 3. Klassen auf dem Hof in Wulfsdorf durchzuführen und hier eigenes Getreide anzubauen. Für die Fortsetzung dieser langen Tradition bauen wir nun auf den zusätzlichen Ackerflächen Kartoffeln (4. Klassen) sowie Weißkohl und Kürbis an (5. Klassen). Neu soll jetzt noch der Anbau von Küchenzwiebeln dazu kommen. Den Weißkohl verarbeiten wir dann mit den Schülerinnen und Schülern zu Sauerkraut und vermarkten dieses zusammen mit den anderen Erzeugnissen an einem Herbst-/ oder Adventsmarkt. Im vergangenen Jahr konnten wir rund eine Tonne Kartoffeln vermarkten, etwa 180 kg Sauerkraut und jede Menge Hokkaido-Kürbisse verkaufen.
Wichtig für uns ist, dass wir nicht in erster Linie für den eigenen Kochtopf produzieren, sondern, wie in der „richtigen“ Landwirtschaft, für andere Menschen. Das bedeutet, dass wir einerseits mit dem Hof zusammenarbeiten und seine Hilfe in Form von Maschineneinsatz, Transport- und Lagermöglichkeiten in Anspruch nehmen; andererseits geben wir unsere Erzeugnisse auch weiter und vermarkten diese, womit wir auch Einnahmen generieren, die wir für die Pachtmiete, für den Zukauf von Saat- und Pflanzgut, für neues Werkzeug oder die für Kosten des Maschineneinsatzes verwenden. Damit bewegen wir uns im wirtschaftlichen Beziehungsfeld von Produzenten und Konsumenten, dessen Drehpunkt der Handel bzw. der Marktstand auf dem Schulgelände darstellt. Aus der eigenen Tätigkeit gelangen wir mit den Kindern so in eine praktisch entwickelte und erlebbare „kleine Sozial- und Wirtschaftskunde“ mit allen dazu gehörigen Fragen: Was kostet ein Kilogramm Kartoffeln, was ist also ein gerechter Preis, vielleicht 90 Cent wie im Supermarkt? Oder was machen wir mit möglichen Verlusten, z.B. durch den Kartoffelkäfer? Sollten wir diese nächstes Jahr von Hand abpflücken, oder vielleicht doch Gift einsetzen? Das sind alles Fragen, die auch Fünftklässler ansatzweise schon begreifen und bedenken können.
In der 5./6. Klasse kommt nun die Weiterverarbeitung des Weißkohls dazu, indem wir die geernteten Kohlköpfe putzen, schneiden und hobeln, kneten und stampfen, einsalzen und würzen, um sie dann einige Wochen im Fass gären zu lassen, bis wir dann das Sauerkraut für den Verkauf abpacken und etikettieren können. Viele Kinder mögen kein Sauerkraut, was aber an dieser Stelle unwichtig ist, denn wir produzieren nicht für uns, sondern für Krautliebhaber! Und auch hier lassen sich eine Reihe von praktischen Fragen erörtern und in einer kleinen Sozial- und Wirtschaftskunde behandeln. Beispielsweise kann man über den Charakter von Selbstversorgungs- oder Subsistenzwirtschaft, Tausch- und Geldwirtschaft sprechen und daran anschließend das Wesen und die Bedeutung von Geld beleuchten. Dazu gehört selbstverständlich auch die Frage, wer das Risiko von Verlusten trägt (z.B. durch Trockenheit, Starkregen oder Schädlingsbefall), oder was mit einem möglichen Gewinn geschehen soll. Für dieses Jahr haben wir uns gemeinsam mit den beteiligten Klassen entschieden, den Reingewinn von 808 Euro einem Hilfsprojekt für Kleinbauern in Äthiopien zukommen zu lassen. Damit erreichen wir nicht nur die Käuferinnen und Käufer an unserem Marktstand, sondern auch Menschen in einem anderen Kontinent.
In der 5./6. Klasse beginnt nun ebenfalls der Gartenbau-Unterricht, wo neben der Bearbeitung des Schulgartens auch die schuleigenen Bienen gepflegt werden und wo der geerntete Honig und das Bienenwachs vermarktet wird. Weiter ist die Schule in Finkenwerder mit Obstbau engagiert, wo es für die 6. Klassen Bäume zu pflegen, die Früchte zu ernten und Apfelsaft herzustellen gibt. Auch dieser kann dann zusammen mit dem Honig und den Bienenwachskerzen auf dem Markt zum Verkauf angeboten werden. Das freundliche Bedienen der Kundschaft und das Verkaufen am Stand mit dem genaue Abwiegen, der Berechnung des Preises, dem korrekten Umgang mit der Kasse und einer zuverlässige Buchführung sind eine besondere Herausforderung und bei den Schülerinnen und Schülern ein beliebter und heiß begehrter Job.
Von den Idealen zur tatsächlichen Arbeit
Meine Aufgabe ist, die Projektarbeiten zusammen mit dem Gut Wulfsdorf zu koordinieren, mit den Klassenlehrer:innen und den Kolleg:innen vom Gartenbau abzusprechen und dann die Arbeiten auf dem Acker anzuleiten und mit den Kindern durchzuführen. Nicht alle Arbeiten sind immer für ganze Klassen geeignet, vieles kann nur in Kleingruppen gemacht werden (z.B. am Förderband Kartoffeln sortieren und abfüllen). Manchmal sind sogar „Notfalleinsätze“ an Abenden oder Wochenenden nötig, etwa zum Gießen der noch zarten Jungpflänzchen bei Trockenheit. Oftmals und gerne helfen auch Eltern mit, wenn sie ihre Kinder auf den Acker begleiten und sich mit ihnen freuen, tatkräftig mitarbeiten zu dürfen. Vieles ist auch nicht genau planbar und von den Wetterverhältnisse und der Entwicklung auf dem Acker abhängig. Regelmäßige Inspektionen auf dem Acker sind deshalb nötig, manchmal sind dann auch Sofortmaßnahmen erforderlich. Da unser Acker für die meisten von uns außerhalb des alltäglichen Wahrnehmungshorizontes liegt, ist es wichtig, das Bewusstsein dafür bei allen Beteiligten immer wieder wachzurufen und dafür zu sorgen, dass unser Acker neben allem, was an der Schule sonst noch zu bewältigen ist, nicht in Vergessenheit gerät.
In den vergangenen drei Jahren haben wir mit der Organisation und der praktischen Durchführung auf dem Acker viele wertvolle Erfahrungen machen und Verbesserungen vornehmen können. Zu den bisherigen Erzeugnissen sollen jetzt für die 5./6. Klasse noch Küchenzwiebeln dazu kommen, womit wir das Limit des praktisch Durchführbaren vermutlich erreicht haben werden: Aussaat, Pflege, Ernte und Verarbeitung müssen ja besonders wegen der Sommerferien in den Verlauf des Schuljahres passen und parallel zum Schulalltag auch bewältigbar sein. Ein noch nicht befriedigend gelöstes Problem ist das Rekrutieren von Hilfen für die regelmäßig notwendigen Kurzeinsätze wie abendliches Gießen oder gelegentliches Hacken der Wildkräuter. Besonders für die Wochenenden und während der Sommerferien wäre es deshalb hilfreich, wenn sich eine kleine Gruppe von Eltern finden ließe, die für kurzfristige Einsätze auf dem Acker bereit stünde.
Wenn Sie sich also, liebe Leserin, lieber Leser, durch den vorliegenden Bericht angeregt fühlen, dann auch Freude und Lust verspüren, in der genannten Weise mitzuhelfen, und wenn für Sie Wulfsdorf nicht mit einem allzu großen Aufwand erreichbar ist, dann melden Sie sich doch bitte, ich freue mich auf Ihre Kontaktaufnahme: thomas.marti@waldorfschule-wandsbek.de; mobil 0157 881 80108.
Übrigens: Wenn Sie Aktuelles aus unserem Landbauprojekt erfahren möchten, finden Sie hier das gesuchte: https://ogy.de/landbau-rsshh |
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